Artikel: Geballte Ladung

Quelle: Wetter online

Autohersteller wie BMW, Daimler und Nissan wollen Antriebsbatterien aus E-Fahrzeugen ein zweites Leben schenken – in Form von Heim- oder Großspeichern

In einem Gewerbegebiet am Rande von Würzburg arbeitet Ralf Klingenberg für die Zukunft. Der Vertriebsbeauftragte der Elektrotechnik-Gruppe Beck Automation – blaue, wache Augen, graumelierter Dreitagebart – steht im Foyer der Firmenzentrale. Hinter ihm aufgebaut: ein brusthoher Schaltschrank in typischem Industrieblau, dahinter ein rechteckiger Kasten von der Größe einer doppeltürigen Kühl-Gefrier-Kombi. „Das ist unser Second-Life-Speicher, der auf dem kompletten Block der BMW i3-Antriebsbatterie basiert. Damit versorgen wir den Betrieb mit gespeicherten Strom aus unserer Photovoltaik-Anlage und auch mit konventionellem Netzstrom.“ Künftig soll er in dieser Form auch im Keller umweltbewusster Eigenheimbesitzer oder in Gewerbebetrieben seinen Dienst tun.

 

Second-Life-Speicher sind das Thema der Stunde bei vielen Automobilherstellern. Neben BMW denken auch Daimler und Nissan schon heute daran, wie sie den Antriebsbatterien ihrer Elektrofahrzeuge ein „zweites Leben“ ermöglichen. Die Hersteller garantieren ihren Kunden durchschnittlich eine Batteriekapazität von bis zu 80 Prozent über eine Dauer von acht bis zehn Jahre oder einer Fahrleistung bis zu 160.000 Kilometern. Ist diese Grenze erreicht, nehmen die Hersteller ihre Batterien in der Regel zurück. Egal, ob Aggregate aus dem Modell i3, dem Smart oder dem Leaf.

 

Die Akkus haben dann aber dann noch mehr als ausreichend Power für weitere zehn bis zwölf Jahre als stationärer Heim- oder Großspeicher. Diese müssen Strom nämlich nicht schnell laden. Und auch die Temperaturen schwanken im heimischen Keller weniger als im Auto.

 

Doch, was treibt BMW, Daimler und Nissan? „Jeder Hersteller ist per Gesetz verpflichtet, seine Batterie zu recyceln. Im Sinne der Nachhaltigkeit wäre das aber am Ende des Fahrzeuglebens schlichtweg zu früh“, sagt Sören Mohr. Mohr, bei BMW zuständig für Energiespeicheranwendungen, betont, dass die „hochwertige Batterie“ zuvor so lange wie möglich weiter genutzt werden soll. Zum Beispiel, um mehrere Einfamilienhäuser dezentral mit Strom zu versorgen oder als Ladestation.

 

Wie so etwas funktioniert, ist am BMW-Hauptquartier in München zu sehen. Dort wird über Solarmodule im Glasdach eines Carports Strom erzeugt. Und anschließend in mehreren Batterien gespeichert, die im nebenstehenden Container in einem Regal liegen. Ein weiterer Grund dürften die Produktionskosten für den verbauten Lithium-Ionen-Akku sein – beim Beispiel BMW i3 ist das rund ein Drittel der 40.000 Euro, die ein Neuwagen kostet.

 

Weitere Kosten, um die Antriebsbatterien in Sekundärspeicher zu verwandeln, wollen die Autobauer da vermeiden. Dafür ist entsprechendes Know-how notwendig. So bereitet etwa Daimler die Systeme über die Tochter Accumotive selbst auf, Nissan arbeitet dafür mit dem britischen Energiedienstleister Eaton zusammen. Und BMW kooperiert mit Beck Automation. „Akku ausbauen, Plus- und Minus-Kabel anklemmen und den Speicher anschalten; so einfach funktioniert das nicht“, sagt Ralf Klingenberg.

 

Zunächst wird der Akku in einem Stück ausgebaut und auf Schäden geprüft. Ist alles in Ordnung erfolgt bei Beck die Integration: Akku auf ein Gerüst stellen, Software programmieren, Schaltschrank installieren, verschalten, einschalten – Freude am Speichern. Die Software ist dabei das Kernstück. Sie sorgt dafür, dass Batterie und neue Regeltechnik miteinander kommunizieren können. Denn bestehende Photovoltaikanlagen liefern durch die verbauten Wechselrichter häufig Wechselstrom. Die Batterie speichert allerdings Gleichstrom.

 

„Die Herausforderungen für eine Nachnutzung der Fahrzeugbatterie sind der hohe Energiegehalt – beim BMW 33 Kilowattstunden und die Spannungslage von 400 Volt – sowie die eingebaute Kühlung, die eigentlich nicht mehr benötigt wird“, weiß auch Sebastian Menne. Der Wissenschaftler ist beteiligt am Projekt End-Of-Life Solutions für Traktionsbatterien (EOL-IS) der Universität Münster unter Leitung von Daniel Beverungen, jetzt Professor an der Universität Paderborn. „Wirtschaftlich gesehen ist der beste Weg sicher, wie BMW, die gesamte Fahrzeugbatterie zu verwenden“, so Menne. Aber der Speicher sei zu groß und damit teuer für den normalen Eigenheimbesitzer. Tendenziell sieht er eher kleine Speicher mit einer Leistung von 7,4 bis neun Kilowattstunden (kWh) als Heimspeicher. Weil deren Kosten sich nach etwa acht Jahren amortisieren.

 

Besser wäre natürlich die Batterie auseinanderzubauen, ist Menne überzeugt. Aus einer großen Batterie ließen sich so leicht vier bis fünf kleine Heimspeicher fertigen. Diese Idee ist bei Nissan schon in der Umsetzung. Der japanische Autobauer will ab 2017 in Deutschland einen Heimspeicher unter dem Namen „xStorage Home“ mit einer Leistung von 4,2, 6 und 7,5 kWh anbieten. Dabei sollen die 24-kWh-Pakete aus dem Modell Leaf zum Einsatz kommen. „Wir lassen bei Eaton die Fahrzeugbatterie öffnen und die darin enthaltenen 48 Module, jeweils so groß wie ein Laptop, prüfen und neu konfigurieren“, erläutert Alexander Sellei, Manager Produktkommunikation bei Nissan. Den finanziellen Aufwand für dieses Remanufacturing nimmt der Konzern in Kauf. „Der kleinste sekundäre Heimspeicher wird 4000 Euro kosten. Ähnlich wie beim Katalysator ist dieser Weg für uns also eine zweite Wertschöpfung“.

 

Trotzdem bezweifelt Menne, „ob sich Second-Life im Heimspeicherbereich langfristig durchsetzt“. Auf der einen Seite führen manche Käufer ihr Elektrofahrzeug vielleicht länger, auch wenn die Kapazität unter 80 Prozent liege. Auf der anderen Seite „sinken die Preise für neue Lithium-Ionen-Batterien derzeit rapide“. Und welcher Eigenheimbesitzer würde nicht neue, leistungsfähigere Batterien in einem billigeren Speicher bevorzugen?

 

Also doch besser Altakkus für den Großspeicher? Menne findet, dass sich das derzeit wirtschaftlich „noch nicht lohnt“. Doch genau daran arbeitet Daimler. Der Stuttgarter Autobauer installiert am Stammsitz des Entsorgungskonzerns Remondis in Lünen gerade den weltweit größten stationären Speicher mit Altakkus – Kapazität 13 Megawattstunden (MWh). Das würde ausreichen, um drei bis vier Einfamilienhäuser ein Jahr lang mit Strom zu versorgen. Weitere Projektbeteiligte sind die Energiedienstleister The Mobility House und Getec. Insgesamt sollen rund 1000 ausgediente Batterien zusammengeschaltet werden. Die ersten Pakete sind bereits an ihrem Platz. Dabei handelt es sich um Batteriesysteme der smart electric drive-Serie der zweiten Generation. „Das Projekt ist technisch nicht trivial“, sagt Frank Spennemann, Senior Manager Business Innovation bei Daimler. Die Aggregate müssen getestet, die Leistungselektronik umgebaut und das Batteriemanagement entsprechend konfiguriert werden. Zudem braucht es Software, um die Batterien anzusteuern – „Nicht jede Zelle ist 100 Prozent gleich.“ Die Kühlung bleibe natürlich, wie Spennemann sagt, aus sicherheitstechnischen Gründen.

 

Wenn der Speicher bis Ende des Jahres fertig ist, soll er am Primärregelenergiemarkt das Netz stabilisieren. Frank Spennemann: „Sie müssen sich das Netz wie eine Badewanne vorstellen. Sagen wir, 5000 Schläuche pumpen Strom hinein und 5000 Schläuche heraus. Dann haben wir den Reserveschlauch, der sowohl pumpen als auch Wasser rauslassen kann.“ Eine wichtige Aufgabe, wenn künftig mehr Strom aus erneuerbaren Quellen kommt. Denn Sonne und Wind liefern nicht kontinuierlich Strom.

 

Ähnliches hat BMW bereits umgesetzt, nur wesentlich kleiner. In Hamburg läuft ein 2-MW-Großspeicher, der in Kooperation mit Bosch und dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall entstanden ist. Daran sind 30 Vier-Personen-Haushalte angeschlossen. Im Inneren verrichten 100 Altbatterien aus früheren Prototypenfahrzeugen der i3- und Mini E-Serie ihren Dienst. Testweise kommen künftig auch neue Akkus zum Einsatz – sozusagen New-Life und Second-Life in einem Container.

 

Ideen und Konzepte für stationäre Speicher gibt es also reichlich. „Ob New-Life oder Second-Life ist letztendlich egal“, sagt Ralf Klingenberg. „Die Frage für die Zukunft lautet: ‚Kommt die Elektromobilität hinterher?‘“

 

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